Materialkreisläufe
Basiswissen zu Materialkreisläufen, Parameter und Tools der Kreislaufwirtschaft in den Darstellenden Künsten, Handlungsbeispiele
Stand: November 2023
Die Darstellende Kunst arbeitet umfassend mit Material – auf und hinter der Bühne, als technisches wie auch gestaltendes Element. Dabei wird Material in der Darstellenden Kunst oft in Form von Endprodukten genutzt. Doch was passiert dann? Eine berechtigte Frage, denn das Konzept der temporären Verwendung von Material für phänomenale, zeitlich begrenzte Projekte in der Darstellenden Kunst sieht sich dem wachsenden Bewusstsein für Ressourcenknappheit und Umweltschutz in der Gesellschaft gegenübergestellt. Wie damit umgehen? Wohin mit dem genutzten Material? Was müssen wir ändern?
Zusätzlich sehen sich die Freien Darstellenden Künste mit Limitierungen im Umgang mit Material konfrontiert: Limitierte Budgets, dadurch limitiertes Personal, limitierte Lagerflächen, limitierte Mittel. Umso mehr lohnt es sich für Akteur*innen dieses Bereichs, sich dem Thema Wieder- und Weiterverwendung zu widmen und Handlungsmöglichkeiten auszuloten. Oftmals muss das Rad nicht neu erfunden werden: die Nutzung von Fundus und Norm-Material sind prominente Beispiele für ressourcenschonenden und lebensverlängernden Umgang mit Material.
Dieser Campus-Abschnitt nimmt „Materialkreisläufe“ näher unter die Lupe und möchte mit Denkanstößen wie auch Handlungsangeboten für diese Methodik des Materialumgangs sensibilisieren.
Links
Kreislaufwirtschaft
Kreislaufwirtschaftsgesetz
Faire Vergütung
Honoraruntergrenzenempfehlung des BFDK
Abfallwirtschaft
Abfalltrennung
Netzwerk
Performing for Future – Netzwerk für Nachhaltigkeit in den darstellenden Künsten
Theater und Nachhaltigkeit
Wikipedia.miraheze
Karte von morgen
Handlungsleitfaden „Die grüne Bühne"
Materialzyklen für Theater
Umweltzeichen
Der Blaue Engel
Cradle to Cradle
Cradle to Cradle Certified Products Program
Cradle to Cradle NGO
Labor Tempelhof
Basiswissen: Materialkreislauf
Was ist ein Materialkreislauf?
Ein Kreislauf definiert die zirkuläre und periodische Bewegung, bei der angewandte Energie wieder in ihren Ursprungszustand zurückkehrt. In Bezug auf Material bedeutet dies, dass nach der Entnahme als Rohstoff aus der Natur und Verarbeitung zu einem Erzeugnis, ein Umgang und Wege gefunden werden, die das Material so lange wie möglich vor der Entsorgung schützen.
►►► Hierbei gilt die Regel: Kann ein Erzeugnis in seine ursprünglichen, reinen Rohstoffe zurück gewandelt werden, bleibt es langfristig Teil des Materialkreislaufs.
Von Gebrauch und Verbrauch
Rohstoffe durchlaufen nach ihrer Entnahme aus der Natur ein Etappen-reiches Dasein:
Zugunsten bestimmter Eigenschaften wie Optik, Beschaffenheit, Belastbarkeit und Haltbarkeit werden Rohstoffe mit anderen Stoffen verbunden und/oder chemisch und physikalisch behandelt. Die Art und Weise der Behandlung hängt dabei von Kosten- und Zeitparametern der Produzenten ab. Die Erzeugnisse gehen dann auf die Reise zum End- oder Weitervertrieb. Zum Teil werden Materialien weiter zu Endprodukten verarbeitet und gehen schließlich in ihre vorgesehene Endnutzung. Jede dieser Stationen nimmt Einfluss darauf, welchen Weg das Erzeugnis nach Gebrauch einschlägt: ob es zyklisch weitervermittelt, in wiederverwertbare Stoffe versetzt oder verbraucht der Natur zurückgegeben werden kann oder ob es dazu nicht mehr in der Lage ist. Dann würde die Entsorgung durch umweltbeeinflussendes Verbrennen oder Deponieren erfolgen.
Materialunterschiede und ihre Kreislauffähigkeiten
In einem idealen Materialkreislauf wird der Rohstoff nach der Entnahme aus der Natur so verarbeitet, dass er seine physikalischen und chemischen Grundeigenschaften beibehält und sich problemlos von anderen Stoffen trennen lässt, um sortenrein für einen neuen Lebenszyklus zur Verfügung zu stehen. Bei natürlich nachwachsenden Rohstoffen ist es somit das Ziel, sie als biologische Masse wieder der Natur zurückzuführen. Bei nicht nachwachsenden – sprich fossilen – Rohstoffen wie Erdöl oder Kohle ist eine Zurücksetzung in den Grundzustand nach Aufbereitung als Produkt nicht möglich. Jedoch können durch sortenreine Materialtrennung und physikalische Prozesse wie Zerkleinern und Erhitzen marktfähige Sekundär-Rohstoffe zur Herstellung neuer Produkte gewonnen werden. Dadurch wird die Entnahme von bislang ungenutzten fossilen Rohstoffen aus der Natur reduziert bis verhindert. Wir sprechen hier vom Re-Cycling.
Liegt keine Sortenreinheit vor, können andere Cycling-Routen eingeschlagen werden:
Das Upcycling folgt der Idee, ein (Teil-)Produkt direkt in ein neues Produkt so umzubauen, dass es eine stoffliche Aufwertung erfährt. Ein Beispiel wäre die Verarbeitung einer temporär genutzten Holzpalette zu einem langfristig genutzten Möbelstück. Die Aufwertung bemisst sich also am Gebrauchsmehrwert. Beim Down-Cycling wird wiederum das Material eines Produktes qualitätsgemindert weiterverwendet. Ein Beispiel dafür wäre die Verwendung alter Textilien oder Zeitung als Verpackungsmaterial. Unverändert kann Material auch Second-Hand weitergegeben und genutzt werden. Produkte wie Mehrwegpfandflaschen sind beispielsweise zur Mehrfachnutzung konzipiert. Material kann also an unterschiedliche Stationen seines Lebenswegs zum weiteren, erneuten Gebrauch zurückkehren.
Kreislaufwirtschaftsgesetz
Seit 2012 ist die Entsorgung von Abfällen in Deutschland durch das „Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen” (kurz auch Kreislaufwirtschaftsgesetz - KrWG) geregelt. Das Gesetz folgt einer fünfstufige Abfallhierarchie:
- Vermeidung von Abfall
- Vorbereitung zur Wiederverwendung
- Recycling
- sonstige Verwertung, insbesondere zur energetischen Verwertung und Verfüllung
- Beseitigung
Anders als in den bisherigen Gesetzen zum Umgang mit Abfällen fokussiert das KrWG stärker den Ressourcen-, Klima- und Umweltschutz (siehe § 1 KrWG) und legt für die Betrachtung der Auswirkungen auf Mensch und Umwelt den gesamten Lebenszyklus des Abfalls zugrunde. Daher sollen folgende Parameter im Umgang mit Abfall zur Wahl der Maßnahme berücksichtigt werden: die zu erwartenden Emissionen, das Maß der Schonung der natürlichen Ressourcen, die einzusetzende oder zu gewinnende Energie sowie die Anreicherung von Schadstoffen in Erzeugnissen, in Abfällen zur Verwertung oder in daraus gewonnenen Erzeugnissen.
Das Gesetz folgt damit den europarechtlichen Zielvorgaben der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien und wurde zuletzt am 09. Oktober 2020 aktualisiert.
Parameter der Kreislaufwirtschaft in den Darstellenden Künsten
Wer umfassend ökologisch und sozial nachhaltig in der Darstellenden Kunst arbeiten möchte, muss dies als feste Größe in der Handlung begreifen und von Projektbeginn aktiv verfolgen.
Für das zyklische Wirtschaften mit Material gibt es einflussnehmende Parameter, die entscheidend für das Gelingen sind:
1. Ressourcenbewusstsein:
Jede Materialnutzung bedeutet, dass es eine Ressourcenentnahme aus der Natur gab. Mit aktiver Auseinandersetzung und Wahl von Second-Hand-Material, recycltem bzw. recyclebarem Material sowie einem wertschätzenden Umgang mit Material wird die Umwelt geschont. Gebrauch vs. Verbrauch!
2. „Spielbewusstsein“:
Was passiert eigentlich im Projekt? Wie und wo soll Material eingesetzt werden? Was sollte das Material leisten können? Was passiert mit dem Material während der Nutzung? Es ist wichtig sich seiner eigenen Ideen und Ziele bewusst zu werden und sich Unklarheiten zu stellen.
3. Materialkenntnis:
Sind die Anforderung an das Material bekannt, kann es nach seinen Eigenschaften gewählt werden: auf welchen Rohstoffen basiert das Material? Kann es nachwachsen und/oder recycelt werden? Welche funktionalen Eigenschaften bringt es mit? Wie wird das Material gepflegt? Woher stammt das Material und wie wird es transportiert? Wie kann das Material verarbeitet werden, so dass es nach Ende der Verwendung in den Materialkreislauf zurückkehren kann? Was kostet das Material? Ist das Material überhaupt für die Bühne geeignet (z.B. Stichworte: Brandschutz, Gewicht)? Gibt es zu dem geplanten Material vielleicht noch eine umweltfreundlichere Alternative? Es gilt: Qualität vor Quantität!
4. Zeit:
Die meisten umweltschädlichen und oftmals sozial ungerechten Entscheidungen erfolgen aus Zeitmangel! Denn - alles braucht seine Zeit: Recherche, Weiterbildung, Experiment, Einkauf und Produktion, Transporte und Lagerung, (Weiter-)Vermittlung, Arbeits- und Ruhephasen der Beteiligten, Vorbereitung wie auch Nachbereitung und Reflexion. Ein kluges, im Team abgestimmtes Zeitmanagement ist der Schlüssel zum Kreislaufwirtschaften und Schutz/Pflege von humanen Ressourcen.
5. Geld:
Eine kluge, detaillierte Budgetierung und somit notwendige Investitionen und Förderungen für Projekte sind entscheidend, um Kreislauf fähig mit Material umzugehen. Das beginnt bei der Organisation von Mülltrennung, geht über den Erwerb qualitativ hochwertiger Ausstattung, der Miete von Lagerflächen und Arbeitsräumen bis hin zur wertschätzenden, fairen Vergütung von Arbeit, die es allen Beteiligten erlaubt, von der erbrachten Leistung zu leben und umfassend Zeit in das Projekt zu investieren.
6. Zusammenarbeit und Vernetzung:
Kreislaufwirtschaften heißt Zusammenarbeit. Die Verantwortung für wertschätzenden und umweltbewussten Umgang mit Material kann nicht bei einzelnen Personen liegen, sondern muss kollektiv vom gesamten Team getragen werden. Das bedeutet auch, Kolleg*innen, die später als Mitarbeitende zum Projekt hinzukommen, in diesen Prozess einzubeziehen. Darüber hinaus bietet Vernetzung die Möglichkeit, mit anderen Gruppen und Initiativen Material, Räume und Lager zu teilen, auszutauschen oder komplett weiterzugeben und somit den Lebenszyklus von Material zu verlängern. Ebenso ist die Weitergabe von Wissen ein Bestandteil des Kreislaufgedankens und der Grundstein, neue Standards im Umgang mit Material und Förderung von Projekten zu setzen.
7. „Besser scheitern“
Eine Umsetzung der Kreislaufwirtschaft ist ein sich entwickelnder Prozess. Die Menge der zu berücksichtigen Parameter bedingt, dass schnell etwas nicht (zu 100%) klappt. Nicht aufgeben! Jedes bisschen Material, deren Lebenszyklus durch eine Handlung verlängert wurde, bedeutet ein Stück Schonung bislang ungenutzter Ressourcen und somit ein Erfolg. Ein vermeintliches Scheitern sollte als Ansporn und Inspiration dienen, es beim nächsten Mal anders zu machen. Die Reflexion solcher Prozesse ist entscheidend.
In der Praxis: Handlungsbeispiele im Produktionsprozess in den Darstellenden Künsten
In diesem Abschnitt werden einige praktische Handlungsbeispiele aus den Darstellenden Künsten vorgestellt, denen das Kreislaufdenken und somit die Ressourcenschonung zu Grunde liegen. Es wird dabei versucht, die weitläufige Wirkung einer Materialwahl und Nutzung durch die Etappen des Produktionsprozesses darzustellen:
1. Phase: Von der Projektidee zum Projektantrag
Während der Findung und Planung einer Projektidee spielen zwei Parameter herausragende Rollen: Geld und Zeit! Gerade in den Freien Darstellenden Künsten, deren Förderung und Mittel oftmals limitiert sind, bedingt eine rechtzeitige und detaillierte Planung mit den Ressourcen Geld und Zeit, Handlungen auf Basis von Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen. Rechtzeitiges Planen bedeutet vor allem, beteiligte Gewerke und Künstler*innen mit ihrer Expertise in die Projektkalkulation und somit vor der Förderantragsstellung einzubeziehen, um sich gemeinsam dem Zeit- wie auch Kostenaufwand bewusst zu werden und ein gemeinsames Bewusstsein und Verantwortung für Materialnutzung zu entwickeln.
Folgende Fragestellungen dienen zur Anregung während der Planungs- und Antragsphase:
Wie viel Zeit können die Beteiligten in das Projekt investieren? Wie können wir die vorhandene Produktionszeit effektiv und fair auf die Beteiligten verteilen? Wie sehe eine faire Vergütung von Arbeitsleistung aus?
An dieser Stelle sei auf die Empfehlung einer Honoraruntergrenze für freischaffende Akteur*innen in den Darstellenden Künsten des BFDK (Neue Honoraruntergrenze für freischaffende Akteur*innen in den Darstellenden Künsten festgelegt) verwiesen.
Welche Ausstattung und Handlungsoptionen stellen uns potenzielle Veranstaltungsorte zu welchen Konditionen zur Verfügung?
Die Raummiete ist meist einer der großen Kostenpunkte in der Kalkulation. Mit der frühzeitigen, direkten Kontaktaufnahme, Vorort-Treffen wie auch das Einholen von Datenblättern von Aufführungsorten ist eine kosten- und ressourcenschonende Entscheidung für einen Ort möglich.
Welche Budgets sind pro mitwirkenden Bereich zu kalkulieren?
Ob nun Ausstattung, Verwaltung oder Presse – überall fallen Kosten für Material an, die auch nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind: der Transportweg bzw. die Transportmiete, um Ware zum Projekt zu bringen; die zusätzliche Dienstleistung, ein Stück Bühnenelement oder eine Grafik qualitativ hochwertig fertigzustellen; die Druckknöpfe, mit denen sich ein Kostümumzug schneller gestaltet; der Pop-Schutz, mit dem der Klang eines Mikrofons verbessert wird; das Druckpapier für Verträge und Rechnungen; die Entscheidung für Printwerbung und wer diese ausliefert. Das Wissen und die Erfahrung der Bereichsleitenden ist essenziell und sollte sich in der Kalkulation der Projekte widerspiegeln.
Woher können wir Material Second-Hand beziehen bzw. mieten?
Viele Fördermittelinstitutionen sehen in ihren Vergabe-Richtlinien vor, dass Anschaffungen, die mit Projektgeldern erworben werden, über mehrere Jahre zur Überprüfung im Besitz des Fördermittelbeziehers bleiben. Dabei sind gerade große Elemente wie Podeste, Bestuhlung, Aushänge, Konstruktions- und Lichttechnik im Einkauf kostenintensiv und in der Lagerung oft Raum greifend. Daher sollten gerade Mietangebote in Betracht gezogen werden. Die Wahl von Second-Hand-Material ist zudem eine Entscheidung gegen die Entnahme neuer Rohstoffe aus der Natur.
Haben wir jetzt wirklich an alles gedacht?
Immer wieder wird zusätzlich Material und Geld gebraucht, das Bereichs übergreifend verwendet wird und nicht zwingend für die Realisierung des Projekts notwendig scheint. Es handelt sich oft um kreislauffähiges Material und Handlungen, die über einzelne Projekte hinaus genutzt werden können und Ressourcenschonung ermöglichen. Einige Beispiele:
Sind Material trennende Müllbehälter vorgesehen? Ist ein Pfand- bzw. Mehrwegsystem für unser Catering-Geschirr eine Option? Ist auch ein Honorar für die nachbereitende Dokumentation und Vermittlung von Material vorgesehen? Wo wird Material im Anschluss gelagert? Sich Zeit zu nehmen, das Event einmal kleinteilig durch alle Etappen durchzuplanen, sensibilisiert für Details, macht aufmerksam für kreative Lösungen und schützt die Ressourcen der Umwelt. Zudem verhindert es die Notwendigkeit von nicht einkalkulierten Leistungen der Beteiligten.
Dabei gilt es auch schon bei Projektbeginn den Projektabschluss im Blick zu haben. Die eigene Weitervergabe von Material, welches nicht einbehalten werden muss oder soll und nicht ins Recycling übergeben wird, muss nicht nur aus logistischer, sondern auch aus rechtlicher Perspektive verwaltet werden: Inwiefern hemmt das Urheberrecht einer*s Künstler*in die öffentliche Wiederverwendung? Was steckt hinter dem Begriff „Produkthaftung“? Auf der Wikipedia Seite „Theater und Nachhaltigkeit“ werden diese Begriffe unter „Abfalltrennung“ besprochen und Vorgehensweisen erläutert, die die rechtzeitige Rücksprache mit Künstler*innen und die Dokumentation von Material und Nutzung voraussetzen.
2. Phase: Produktion von Ausstattung
Der Bereich, in dem der meiste und vielseitigste Materialgebrauch in der Darstellenden Kunst anfällt, ist in der Ausstattung. In diesem Fall wird über das Bühnen- und Kostümbild hinaus auch alle weiteren Materialien im szenischen Kontext – also Video, Licht und Ton – mit einbezogen.
Bei der Erstellung von Ausstattungen treten in Bezug auf Material folgende Schlagworte auf: Materialbedarf, Materialwahl, Materialverarbeitung.
Der Materialbedarf kristallisiert sich aus der Zusammenarbeit der beauftragten Ausstatter*innen mit dem Regie-Team in der Entwurfsphase heraus. Dabei wird grundlegend die Spielidee definiert. Um die Aspekte Materialmenge, Budget, Produktions- und Aufbauzeiten, räumliche Umsetzbarkeit, Herstellungsaufwand und Sicherheit zu prüfen, empfiehlt sich stets die Durchführung einer Bauprobe. Zu diesem Anlass könnten Materialproben, die potenziell verwendet werden sollen, organisiert und gesichtet werden, um Fehlentscheidungen und somit Materialverschwendung zu vermeiden. Zudem sollten anschließende Proben in einem Originalraum markierenden Setting wie auch mit Probekostümen stattfinden, um auch hier Fehlplanungen und unnötigen Materialverbrauch zu verhindern. Für die Bauprobe und Probenausstattung sollte im besten Fall auf Second-Hand-Material zurückgegriffen werden.
Bei der Materialwahl gilt: eine Second-Hand-Option ist die ressourcenschonendste Wahl.
Dies gilt vor allem bei Materialien, die auf fossile Rohstoffe beruhen und deren Vorkommen in der Natur begrenzt sind, wie auch bei Readymades wie Möbelstücke, deren Materialtrennung sich aufwendig gestaltet und die daher oft vor einer umweltschädlichen Entsorgung stünden.
Bei Neuware sind ökologisch unbedenkliche Materialien wie natürlich nachwachsende Rohstoffe potenziell Kreislauf fähiger als fossile und synthetische. Um als gebrauchsfertiges Material zu uns zu gelangen, durchläuft ein Rohstoff Verarbeitungsprozesse, die zusätzlich chemische Stoffe wie auch Wasser und Energie bedürfen und zur Beurteilung eines Materials relevant sind.
Material-Beispiele aus dem Bereich Kostüm:
Baumwolle ist ein natürlicher, erneuerbarer Rohstoff. Für den konventionellen Anbau von etwa 1kg Baumwolle werden etwa 11.000 l Wasser benötigt und für einen ertragreichen Wachstum giftige Pestizide eingesetzt. Als ökologisch bewusstere Variante kann auf die Nutzung von Bio-Baumwolle geachtet werden, bei der auf den Einsatz von Pestiziden verzichtet wird. Polyester wiederum ist eine synthetische Faser, die mit einem Schmelzspinnverfahren aus Erdöl gewonnen wird. Im Vergleich zur Baumwolle ist die Polyesterfaser durch ihre knitterfreie Struktur, Wetterbeständigkeit und leichte Pflege attraktiv. Dem steht aber der Gebrauch vom nicht-erneuerbaren Rohstoff Erdöl so wie eine komplexe, Energie aufwendige Produktion gegenüber. Darüber hinaus lösen sich bei jedem Waschgang Kunststoffpartikel aus dem Textil, die mit dem Abwasser in die Meere und ins Grundwasser gelangen und somit in diese Biotope und unser Trinkwasser eingreifen. Die leichte, elegante Seide und die robuste Wolle sind wiederum Textilien, die zwar auf erneuerbaren, aber tierischen Rohstoffen basieren und aus Tierwohl-Perspektive betrachtet werden müssen. Bei Wolle ist auch die Faser schrumpfende Wirkung von Wasser zu erwähnen, und daher eine chemische Reinigung erfordert. Darüber hinaus wurde in den letzten Jahren viel zu neuen wie auch recyclten Fasern und Materialinnovationen geforscht und auf dem Textilmarkt etabliert, die ihren jeweiligen Für- und Widerspruch erfahren.
Es zeichnet sich ab: die Wahl für ein „gutes“, Kreislauf fähiges Material ist komplex. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit Rohstoffen und deren Verarbeitung wie auch eine bewusste Abwägung des Nutzens des Materials für die Ausstattung sind entscheidend für einen möglichst Kreislauf fähigen sowie ressourcen- und umweltschonenden Materialumgang. Zur Orientierung können Produktnummern wie auch ausgegebene Siegel und Zertifikate dienen.
Bis zur fertigen Ausstattung durchläuft Material weitere Verarbeitungsprozesse. Auch hier ist das Credo: die Trennbarkeit von Materialien bemisst die weitere Kreislauffähigkeit.
Beispiele aus dem Bereich Bühnenbild:
Jedes Erzeugnis, das mit Verbundmaterial – sprich Kleber – und Beschichtung – also Lacke und Farben – in Kontakt kommt, kann die Recyclingroute nicht mehr einschlagen, sofern diese Beschichtung nicht ablösbar ist bzw. über gleiche chemische Zusammensetzungen wie das Trägermaterial verfügt. Da Kulissenteile in ihrer Form und Gestaltung oft so spezifisch sind, dass sie seltener wiederverwendet werden, lohnt es sich genau zu überlegen, ob bzw. an welcher Stelle auf Verbundmaterial und Beschichtung verzichtet werden kann, um die Materialien zurückzubauen: eine Wand, die nur eine dekorative statt tragende Funktion hat, kann mit Stoff bezogen anstatt mit Holz beplankt und bemalt zu werden. Die Verwendung von Gewindeschrauben ist perspektivisch materialschonender für Kulissen, die oft auf- und abgebaut werden. Ist die Konstruktion einer Kulisse nicht sichtbar, könnte sie gegebenenfalls unbeschichtet bleiben. Oder noch besser: den Entwurf so konzipieren, dass Fertigbauteile wie Traversen-Bauteile, Stative und Normpodeste verwendet werden können, die im Bestand sind oder lokal gemietet werden können. Die Orientierung an handelsüblichen Größeneinheiten von Baumaterialien hilft, Verschnitt zu vermeiden und den Mengengebrauch bewusst zu gestalten. Die Teilbarkeit von Konstruktionen kann zudem positiv auf Lagerfläche einwirken und auch damit die Lebenszeit von Material verlängern.
Phase 3: Im szenischen/finalen Produktionsprozess
Gerade mit dem Voranschreiten der Produktion heißt es, am Ball zu bleiben. Immer mehr Menschen werden an den Entstehungs- und Durchführungsprozess beteiligt und nehmen Einfluss auf den produktionseigenen Materialkreislauf. Es ist wichtig, Zeit und Geduld aufzubringen, den Anspruch für ressourcenbewussten Materialumgang mit allen transparent zu teilen und gleichsam wertschätzend dazu einzuladen, sich an der Idee der Kreislaufwirtschaft zu beteiligen. Denn viele kleine und große Handlungen nehmen auf diesem Weg Einfluss: gemeinsam Mülltrennung auf der Probe- und Aufführungsbühne berücksichtigen; gemeinsam sich für den Stromanbieter entscheiden, der erneuerbare Energie fördert und auf den Verbrauch von Strom und Heizwärme achten; Mehrweg- statt Einweggeschirr für Snacks verwenden; Fahrten mit Fahrrad oder ÖPNV planen oder bei Notwendigkeit Fahrgruppen mit dem Auto bilden und nicht einzeln anreisen; möglichst auf Flüge verzichten.
Im Probenprozess entstehen immer wieder Ideen, die Materialverschwendung verursachen, weil sie entweder nicht ausgereift wurden und nach Besorgung des Materials wieder verworfen werden. Manchmal wird auch eine Materialverschwendung selbst als szenischer Vorgang vorgeschlagen. Hier könnte die Kreislaufwirtschaft tatsächlich im Widerspruch mit der Kunstfreiheit stehen. Es kann nur dazu eingeladen werden, Ideen mit gezieltem Materialverbrauch auf ihre Bedeutung, Wirkung und Notwendigkeit von Fall zu Fall zu hinterfragen und im Team abzustimmen. Kann der Effekt der Materialverschwendung auch anders erzählt werden? Gibt es vielleicht Möglichkeiten, Lösungen mit wiederverwendbarem oder recyclebarem Material umzusetzen?
Phase 4: Produktionsabschluss
Mit Abschluss des Projekts zeigt sich, wie konsequent der Kreislaufgedanke auch in den Handlungen umgesetzt wurde. Es gilt nun, zurückzubauen, einzulagern und zu dokumentieren, welche Mittel für ein kommendes Projekt zur Verfügung stehen. Zur Reflexion der Erfahrung zählt die Rücksprache im Team, Anpassungen in Dokumenten z.B. in Kalkulationen für neue Anträge und auch das Wissen mit anderen zu teilen. Die Darstellenden Künste können sich nur in ihren Handlungen und Materialumgang umweltbewusster und Kreislauf basierter entwickeln, wenn gesammeltes Wissen die gesamte Bandbreite der Szene erreicht.
How-To: Tools zur Kreislaufwirtschaft in den Freien Darstellenden Künsten
Kreislaufwirtschaften in den Freien Darstellenden Künsten geht nicht von alleine, sondern bedarf vieler unterschiedlicher Tools. Diese Grafik fasst einmal die wichtigsten zusammen:
Vernetzung in Verbänden und Gruppen
Neben der Bündelung von Wissen auf Websites ist der direkte Austausch zwischen Akteur*innen der Darstellenden Künste der fruchtbarste Boden der Weiterbildung. Performing for Future - Netzwerk für Nachhaltigkeit in den darstellenden Künsten ist ein bundesweites Netzwerk von Akteur*innen aus Initiativen, Theatern, Verbänden, Gesellschaften und der freiberuflichen Tätigkeit in den Darstellenden Künsten und den darüber hinaus gehenden Kulturbereich, die sich zum Austausch und Vernetzen zusammengefunden haben. Das Netzwerk trifft sich einmal im Monat online im Plenum und nach Absprache in themenspezifischen Arbeitsgruppen.
Gemeinsam mit Performing for Future initiierte der BFDK e.V. von 2022 bis 2023 das vom Fonds Darstellende Künste geförderte Programm „Performing Arts – Performing Future“, das in Zusammenarbeit mit den Landesverbänden Workshops, Vernetzungstreffen wie auch eine Beratungsstelle für nachhaltiges Produzieren in den Freien Darstellenden Künsten anbot. In diesem Kontext entwickelte Franziska Pierwoss den BFDK ECO RIDER als kompakte Handreichung in Form eines Fragebogens, der entlang des Produktionsprozesses in den Darstellenden Künsten Denkanstöße für nachhaltiges Agieren setzt.
Eine auf ökologische Nachhaltigkeit ausgelegte Arbeitsgruppe wurde ebenfalls im Szenografie-Bund aufgebaut, die spezifisch für Kostüm – und Szenenbildner*in den Handlungsleitfaden „Die grüne Bühne – ökologisch nachhaltiges Entwerfen und Produzieren in Bühne und Kostüm“ verfasst hat und in monatlichen Onlinemeetings Best-Practice Beispiele austauschen.
Materialwissen
Der Aufbau von Materialdatenbanken nach nachhaltigen Kriterien ist ein langwieriger Prozess und eine zentrale Aufgabe im Aufbau neuer Standards im Umgang mit Material. Die Future Materials Bank sammelt neue ungiftige und biologisch abbaubare Materialien in einer digitalen Datenbank. Initiiert wurde die Plattform von der Jan van Eyck Academie in Zusammenarbeit mit dem MA Materials Futures am Central St. Martins in London und möchte Künstler*innen dazu inspirieren, eine ganzheitlichere und nachhaltigere künstlerische Praxis zu pflegen.
Stuff in Cycles – neue Materialzyklen für Theater ist ein Open-Source-Projekt zur Katalogisierung von umweltfreundlichen Materialien und wiederverwendbaren Strukturen als Antwort auf den „Wegwerfkreislauf“. Auf Einladung der Initiator*innen Barbara Ehnes, Professorin für Bühnen- und Kostümbild der HfBK Dresden so wie Nadia Fistarol, Leiterin des Praxisfeldes Szenischer Raum an der ZHDK Zürich, können Erfahrungen und Informationen zu Materialien, Literatur und Veranstaltungen solidarisch geteilt werden.
Siegel und Zertifikate: Orientierungshilfe in der Materialwahl
Als erste Orientierung zu Herkunft und Verarbeitung eines Materials dienen nachverfolgbare Chargen- und Produktnummern. Zudem werden für umwelt- und ressourcenschonende Produkte Siegel und Zertifikate vergeben. Diese unterscheiden sich in der Beurteilung nach ökologischen und/oder sozial gerechten Standards bei Rohstoffentnahme, Produktion und Lieferketten. Inzwischen gibt es auf dem Markt sehr viele Siegel, hinter denen sich unterschiedliche Interessengruppen befinden – der Blaue Engel ist beispielsweise ein durch das deutsche Bundesumweltministerium eingeführtes Siegel, deren Kriterien vom Umweltamt der Bundesregierung erstellt und erweitert werden und somit der Umweltpolitik der Deutschen Bundesregierung entspricht. Es wird für eine Vielzahl von Endprodukten wie Papier, Haushaltsmittel oder Textilien eingesetzt. Ein wiederum Rohstoff bezogenes, durch internationale NGOs ins Leben gerufene Siegel ist das des Forest Stewardship Council (FSC), welches die nachhaltige Zertifizierung von Forstbetrieben wie auch daraus resultierenden Holz- und Nebenprodukte verfolgt. Seit geraumer Zeit drängen auch selbst aufgesetzte Kennzeichnungen für nachhaltiges und grünes Produzieren von Großkonzernen auf den Markt. Wie auch bei den Rohstoffen lohnt sich die Recherche, wer hinter der Installation von Siegeln steckt, um die Glaubwürdigkeit zu beurteilen. Es gibt Plattformen, die solche Informationen aufbereiten. Zu diesen gehört siegelklarheit.de, die von der Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH aufgebaut und zusammen mit dem Umweltbundesamt und einem Ressortkreis verschiedener Bundesministerien eine Übersicht zu Siegeln anhand ökologischer und sozialer Aspekt wie auch deren Glaubwürdigkeit erstellt hat. Die Plattform ist bemüht, die jeweiligen Kriterien in Aktualität und Ausführlichkeit transparent zu kennzeichnen.
Cradle-to-cradle – ein radikales Materialkreislaufs-Konzept
Der deutsche Chemiker Michael Braungart und der amerikanische Architekt William McDonough definierten Ende der 1990er Jahre das Denkmodell „von der Wiege zur Wiege“. Es klassifiziert natürlich nachwachsendes Material als biologischen Stoff und somit als Verbrauchsmaterial und nicht-erneuerbare Materialen als technische Stoffe und somit als Gebrauchsmaterial. Diese Klassifizierung bildet zwei unterschiedliche Materialkreisläufe heraus, die das Ziel verfolgen, Stoffe nach der Entnahme aus der Natur keiner Entsorgung („Von der Wiege zur Bahre“) zuzuführen, sondern kontinuierlich als Produkte zu konzipieren und zu gestalten, die sich in ihrem Ge- bzw. Verbrauchszyklus bewegen. Auf Basis dieses Konzepts wurde der Begriff der „Ökoeffektivität“ definiert. Diese steht somit im Gegensatz zur Ökobilanz und Ökoeffizienz: Die Ökobilanzierung verfolgt lediglich die Erfassung und Auswertung von wirtschaftlichen Vorgängen aus ökologischer Perspektive. Die Ökoeffizienz wiederum versucht, mit möglichst wenig Ressourcenverbrauch höchstmögliche wirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen, die damit jedoch die Rohstoffverknappung lediglich nur verlangsamt statt abbaut. Die Ökoeffektivität hingegen würde durch die konsequente Rückführung von Stoffen in Kreisläufe die Rohstoffverknappung stoppen. Seit 2005 existiert das Cradle to Cradle Certified Products Program, das Produktion und Produkte nach dem Konzept von C2C kennzeichnet. Seit 2012 arbeitet die NGO C2C an Bildungsprogrammen und Pilotprojekten auf Basis des C2C-Modells. 2022 setzte die C2C NGO unter dem Programmnamen „Labor Tempelhof“ eine Konzertreihe auf dem ehemaligen Tempelhofer Flughafen Berlin experimentell unter C2C-Kriterien um.