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Lebens- und Arbeitsrealitäten in den darstellenden Künsten

Am Beispiel von zwei Personas: Kim (hybriderwerbstätig) und Lotte (soloselbstständig)

Kim – hybriderwerbstätig in den darstellenden Künsten

Ich bin Schauspielerin und Sängerin, 36 Jahre alt und alleinerziehende Mutter. Meine Eltern kommen nicht aus Deutschland und haben sich als Geringverdiener durchgeschlagen. Finanzielle Unsicherheit kenne ich also schon seit meiner Kindheit. Trotzdem habe ich mich für meine Leidenschaft als Beruf entschieden. Ich wusste, dass man nicht unbedingt reich wird, aber mit wenig Geld habe ich ja gelernt, umzugehen. Was ich nicht wusste, war: Obwohl ich an jedem Wochentag arbeite, an den meisten Wochenenden und auch an Feiertagen, werde ich immer an der Existenzgrenze balancieren – und im Alter mit Sicherheit darunterfallen.

Wenn ich als Gast an einem öffentlich geförderten Theater arbeite, ist mein Einkommen durchschnittlich gut. Ich habe aber gehört, dass meine männlichen Kollegen, teilweise sogar die jüngeren, in der Regel um die 27,4 Prozent mehr an Gage für die gleiche Arbeit bekommen. Ich habe gefragt, wie das sein kann. Darauf sagte man mir: „Naja, Gagen sind freie Verhandlungssache.“ Meine Freundin, die im öffentlichen Dienst arbeitet, hat eine Gehaltstabelle, die für alle transparent regelt, wann man wie viel verdient. Ich habe probiert, so viel zu fordern wie meine Kollegen. Daraufhin hat man mich nicht mehr engagiert. Ich war „zu teuer“ und „zu problematisch“. Das mache ich nicht noch einmal.

Ich werde auch für Projekte in der Freien Szene angefragt. Ich mag diese Arbeit und brauche sie, weil ich mit den paar Projekten am Theater nicht genug verdiene. Aber das Arbeiten in der Freien Szene wird mitunter noch schlechter bezahlt. Niemand will das, es gibt Honoraruntergrenzenempfehlungen, aber die Fördermittel reichen oft nicht, sie überhaupt einzuhalten. Das Problem ist wohl, dass diese Untergrenzen nur eine Empfehlung sind und die Umsetzung für niemanden verpflichtend ist.

Was ich in meiner Arbeit verdiene, reicht gerade so, um alle Pflichtbeiträge und Lebenshaltungskosten zu bestreiten. Die Zusatzversicherung für das Krankentagegeld kann ich mir zum Beispiel nicht leisten. Ich habe also, entgegen der ärztlichen Empfehlung, bis kurz vor der Geburt meines Kindes gespielt. Denn auch wenn ich krankgeschrieben bin, erhalte ich für vertraglich vereinbarte Proben oder Vorstellungen kein Ausfallhonorar. Ich bekomme einfach – nichts.

Richtig katastrophal wird es, wenn ich an meine Vorsorge denke: Weil ich als Schauspielerin von den Theatern als weisungsgebunden betrachtet werde, komme ich nicht in die KSK. Wenn ich dann wieder selbstständig arbeite, ohne als KSK-versicherungspflichtig zu gelten, müsste ich also freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung selbst aufbringen, um keine Lücken in der Anwartschaft zu haben. Dafür reicht das bisschen, was ich im Monat übrighabe, nicht immer aus. Und sparen ist auch nicht drin; ich brauche das Geld, um einen Babysitter zu bezahlen, wenn ich abends probe oder spiele. Weil meine Eltern selbst nicht wirklich haben sparen können, bekomme ich auch kein Erbe. Ich bin völlig auf mich gestellt. Das Schlimme ist: Ich komme als Frau langsam in das Alter, in dem die Rollen für mich weniger werden. Außerdem bin ich nicht der kaukasische Gretchen-Typ. Weniger Arbeit heißt weniger Geld. Durch mein Kind stehe ich sowieso dem Arbeitsmarkt eingeschränkter zu Verfügung. Aber meine Care-Arbeit als Alleinerziehende bezahlt mit keiner. Ich habe also einen vierfachen Gender-Gap: einen Gender-Pay-Gap, einen Gender-Care-Gap, einen Gender-Work-Gap und als Resultat einen Gender-Vorsorge-Gap. Meine Zukunft sieht dunkel aus.

Ich arbeite jeden Tag, damit ich Arbeit bekomme. Ich telefoniere, pflege meine Webseite, gehe zu Networking-Events, schreibe Bewerbungen und mitunter auch an Projektanträgen mit. Keine dieser Arbeit ist in meinen Gagen eingepreist. Ich gehe also immer ins Minus, um überhaupt eine Perspektive auf ein Plus zu haben. Weil ich nicht genügend Tage im Jahr sozialversicherungspflichtig arbeite, sammle ich keine Anwartschaftspunkte in der Arbeitslosenversicherung. Ich zahle also zwar ein, aber ich bekomme nichts raus. Aber ausreichende Rücklagen kann ich, wie gesagt, nicht bilden. Wenn ich zu der ganzen unbezahlten Arbeit noch Bürokratie hinzuzähle, die ich, zum Beispiel mit der Krankenkasse bewältigen muss, frage ich mich manchmal, warum ich nicht einfach Bürgergeld beantrage. Aber jede Auseinandersetzung mit den Ämtern ist schwierig für mich. Ich spreche deutsch, aber verwaltungsdeutsch konnte niemand in meiner Familie. Alles muss ich alleinmachen und obwohl ich mir so Mühe gebe, reicht meine ganze Arbeit für nichts. Ich bin ausgebrannt und fühle mich schutzlos. Ich brauche Sicherungsnetze, die für mich und meine Lebens- und Arbeitsrealität sowie zu meinem Erwerbsstatus passen.

Bild der fiktiven Persona Kim, die hybriderwerbstätig ist in den darstellenden Künsten. Kim versucht sowohl in der Anstellung als auch in der Solo-Selbstständigkeit Fuß zu fassen und dabei den Gender-Vorsorge-Gap, den Gender-Pay-Gap, den Gender-Care-Gap und den Gender-Work-Gap zu überbrücken. Gleichzeitig ihr Kind, dass auf den Schultern sitzt, zu betreuen und Anträge zu stellen.
Bild der fiktiven Persona Lotte, die soloselbstständig in den darstellenden Künsten tätig ist. Mit ihren vielen Armen versucht sie gleichzeitig sich um ihre soziale Absicherung zu kümmern, Anträge zu schreiben, Projekte umzusetzen, zu Aufführungen zu fahren, künstlerische und nicht-künstlerische Aufträge umzusetzen und noch viele weitere Aufgaben.

Lotte – soloselbstständig in den darstellenden Künsten

Ich, 37 Jahre, arbeite freiberuflich als Beleuchterin und Veranstaltungstechnikerin in München und bin deshalb häufig bis spät abends unterwegs. Ich liebe die Arbeit mit der Technik und würde selbst niemals auf der Bühne stehen wollen. Allerdings würde ich schon sagen, dass ich nicht nur technische Arbeit mache. Mir gefällt auch die konzeptionell-gestalterische Arbeit und wenn ich mich bei einem Projekt mehr mit meinen Ideen einbringen kann. Dabei arbeite ich vor allem gerne mit Leuten zusammen, die den Wert meiner Arbeit schätzen und auch entsprechend honorieren. Denn ohne meinen Beitrag bleibt die beste künstlerische Produktion buchstäblich im Dunkeln. Oft muss ich aber auch andere Aufträge annehmen und leuchte mal Hochzeiten, Firmenfeiern oder andere Veranstaltungen aus. Auch die Messe bucht mich ab und zu für einen Abend. Am liebsten mache ich aber Theaterprojekte. Nur hier gibt es meist recht wenig zu verdienen, denn die freien Produktionen erhalten keine großen Fördersummen, sodass hier viel unbezahlte Arbeit reinfließt. Ganz schlimm war es während der Pandemie. Da gab es für uns kaum Unterstützung und auch kaum Alternativen, weil ja Veranstaltungen aller Art verboten waren.

Als jemand, der professionell im Kulturbetrieb arbeitet, aber nicht als Künstlerin in Erscheinung tritt, stehe ich leider auch in Hinblick auf die soziale Absicherung eher am Rande. In die KSK komme ich gar nicht erst rein. Weil ich noch nie fest angestellt war, kann ich mich nicht freiwillig in der Arbeitslosenversicherung versichern. Für meine Rente zahle ich freiwillig in die gesetzliche Rentenversicherung ein, das reicht aber am Ende wahrscheinlich nicht mit unseren schwankenden Einkommen. Auch gibt es für uns Solo-Selbstständige keine guten Angebote für eine private Aufstockung, weil es für uns keine Versorgungskammer gibt, wie etwa die Bayerische für die Künstler*innen in den darstellenden Künsten. Aufgrund des geringen und schwankenden Einkommens kann ich mir zu dem schon hohen Beitrag für die Krankenkasse nicht auch noch den Zusatz für Krankentage leisten. Deshalb arbeite ich oft, wenn ich eigentlich zuhause bleiben sollte, weil ich sonst kein Geld bekomme und die wenigen Rücklagen lieber fürs Alter anlege. Zudem treffen die vielen Faktoren, die die künstlerische Arbeit in Hinblick auf befristete Projekte oder kurzfristige Ausfälle charakterisieren, genauso auf meinen Alltag zu. Das nervt.

Ich bin froh, das Netzwerk „Gefährliche Arbeit“ gefunden zu haben, weil ich mich als queere Frau* mit anderen in ähnlichen Situationen im Technikbereich austauschen kann; dass Sexismus ein echtes Problem ist, auch wenn es um Vergabe von Aufträgen geht. In der Zukunft hätte ich gerne Kinder, aber ich weiß noch nicht, wie ich das mit den Arbeitszeiten und den schwankenden Einkommen in meinem Beruf vereinbaren kann. Wahrscheinlich muss ich mir etwas anderes suchen.